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Alternde Gesellschaft, Migration & Remigration

22. Apr 2013

Ein Interview mit Berenike Ecker, Bereichsleiterin von Arbeit & Chancengleichheit (A&C)

 

‘Creating greater solidarity between able and disabled people, between the old and the young, between women and men, between regions, and between those who are wealthy and those who are less lucky in life. This is really the vision we have - and have been promoting for 10 years now.‘
(Anne-Sophie Parent Secretary General, AGE Platform Europe in 2011: www.socialplatform.org)

 ‘Older people are no longer the other.‘
(One of the keyideas of Sarah Harper in Mature societies: planning for our future selves. In: Daedalus. Journal of the American Academy of Arts & Sciences, Winter 2006)

‘I hope I die before I get old.’
(A line of a pop classic of the British band “THE WHO” in 1965: The WHO, now arrived in their 60s, were giving a vivid concert on the occasion of the Olympic Games in London in 2012. )

 

 

 

Das fortschreitende Älterwerden hat in unserer heutigen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Der ZSI-Bereich Arbeit & Chancengleichheit (A&C) erkannte das Thema bereits sehr früh als richtungsweisend. In der Zusammenschau der Studien und Projekte am ZSI: Wo liegen die Herausforderungen und Chancen einer immer älter werdenden Gesellschaft?

Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel sollten auf jeden Fall gemeinsam betrachtet werden. Demographischer Wandel bzw. die damit verbundenen Auswirkungen betreffen politisch-gesellschaftliche Einheiten wie z.B. Staat, Verwaltung, Gemeinden bzw. verschiedene Politikfelder in unterschiedlicher Form und Intensität.
Dies gilt auch für die für unseren Bereich verstärkt relevanten Politikfelder Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Wirtschaft, Soziales, Gesundheit sowie Migration, Integration & Diskriminierung. In A&C beraten wir nicht nur VertreterInnen dieser Politikfelder sondern sind forschend aktiv und koordinieren auch themenspezifische Netzwerke.
Beispielsweise befassen sich die MitarbeiterInnen des Bereiches mit Fragen rund um Stärkungs- und Unterstützungsmöglichkeiten von älteren Erwerbstätigen sowie die (Weiter)entwicklung von Strategien und Konzepten zur Integration (langzeit)arbeitslosen Älteren in den Arbeitsmarkt. In den Territorialen Beschäftigungspakten, deren bundesweite Koordinationsstelle (Kooo) am ZSI angesiedelt ist, werden z.B. alternsgerechte Aus- und Weiterbildungskonzepte für Ältere– u.a. in enger Abstimmung mit den Bundesländern, dem Arbeitsmarktservice, den Sozialpartnern und Bildungseinrichtungen – (weiter)entwickelt.

Das Green Paper „CE Ageing Strategy“ des Projektes „CE Ageing Platform“ beinhaltet Handlungsempfehlungen und Maßnahmen zur Bewältigung der mit dem Demographischen Wandel in Zusammenhang stehenden Herausforderungen in Zentraleuropa.

Eine persönliche Vision in Bezug auf den unaufhaltsamen demografischen Wandel wäre, einen anderen Zugang gegenüber Arbeit  im Allgemeinen und  älteren Beschäftigten zu finden. Alter wird nach wie vor eher negativ konnotiert. Stichwort Anti-Ageing: Man tut sehr viel, um das Alter wegzuhalten. Und viel zu oft drückt sich die Haltung in Bezug auf Arbeit darin aus, dass  in  Zeiteinheiten bis zum Urlaub oder bis zur Pension gerechnet wird. Erst danach beginnt  das eigentliche Leben.  Ich wünsche mir hier ein neues Generationenmanagement und kollektive Bilder. In diesen sollte Arbeit mit Erfüllung gleichgesetzt und ältere Beschäftigte mit ihrem Erfahrungsschatz und ihrem Wissen wert geschätzt werden.  Hier liegt sehr viel Potential der Älteren respektive Etablierten, das bereits in den spezifischen Projekten der TEPs gelebt wird, für die Arbeitswelt von heute.

Noch vor etwa 200 Jahren war die Lebenserwartung markant geringer. Zukunftsprognosen diverser Studien bestätigen diesen Verlauf, bei dem der Altersdurchschnitt steigen und die Bevölkerungszahl vor allem in Mitteleuropa sinken wird. Zudem besteht die Altersgesellschaft zum größten Teil aus Frauen. Nehmen Sie hier Defizite respektive Entwicklungspotentiale für das Thema Chancengleichheit war?

Das ist ein Feld, in dem man (und frau) viele Akzente setzen kann. Ein wesentlicher Zugang ist die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Frauen zu stärken. Die Zielgruppe ältere Frauen – sowohl Erwerbstätige als auch und Seniorinnen – sind beispielsweise eklatant höher von Armut betroffen, wenn sie über wenig Ausbildung, daher nur über den Pflichtschulabschluss bzw. keinen Lehrabschluss, verfügen. Im Bundesplan für Seniorinnen und Senioren wird zudem darauf hingewiesen, dass Frauen im Alter eher gefährdet sind, sozial ausgegrenzt zu werden. Sowohl politisch als auch gesamtgesellschaftlich gibt es für sie mitunter kaum Möglichkeiten zur Partizipation.
Ein weiterer Aspekt sind die Brüche in der Erwerbsbiografie, die sich in der Vita der älteren stärker aber auch in jüngeren Frauengenerationen finden. Die Betroffenen waren nur kurz im Arbeitsleben aktiv, da sie aufgrund der Familiensituation auf ihren Beruf verzichtet haben. Diesen Frauen fehlen dann leider die Pensionsversicherungsjahre und sie haben vielfach während ihrer Erwerbszeiten weniger als ihre männlichen Kollegen verdient. Der so genannte Gender Pay Gap betrifft jedoch nach wie vor alle Frauen.
Auf institutioneller Ebene versucht man  geschlechterspezifische Gleichstellungsziele im Zuge der gegenwärtig laufenden Neuprogrammierung der EU-Kohäsionspolitik gut aufzugreifen.

Neben der Ageing Society sind Migration und Remigration Schlüsseldiskussionen für unsere Gesellschaft geworden. Welche Ansätze und Fragestellungen werden in den Projekten von A&C verfolgt?

Remigration ist eine relativ neue Stoßrichtung in der Migrationsforschung in der sich ForscherInnen von A&C seit etwa zwei Jahren intensiver engagieren. Hier wäre konkret das Projekt Return zu nennen. Im Fokus stehen RückkehrerInnen in Zentraleuropa: Wer ist die Zielgruppe, wer geht zurück lauten die zentralen Fragen. Es zeigt sich zunehmend, dass es sich um eher Jüngere handelt, die während ihres Auslandaufenthaltes auch Qualifikationen erworben haben.  Es wird versucht herauszufinden, Strategien und Unterstützungsmöglichkeiten zu entwickeln, wie RückkehrerInnen wieder in ihren Herkunftsländern Fuß fassen können und ihre Auslandserfahrung in den Regionen sinnvoll einsetzen können. Sozuagen „braindrain the other way round“.  Es  fließt daher wieder knowledge und human capital in die betroffenen Regionen zurück. Das kann im Bestfall zu einer wirtschaftlichen Stärkung dieser Regionen beitragen. Remigration ist an sich ein schwieriges Forschungsfeld, da die Datenlage noch schlecht ist. In der Migrationsforschung engagiert sich das ZSI schon sehr lange. Ganz aktuell wird z.B. das Projekt  ‘Berufliche Qualifizierung von EinwanderInnen in Tirol: Verläufe und Interventionsmöglichkeiten‘  umgesetzt.  ‘How well does eduction travel?‘,Sozialer Aufstieg aus dem Migrationsmilieu‘, ‘oder ‘Bildungshintergrund von MigrantInnen‘ sind interessante Beispiele.

Sehen Sie einen bevorstehenden Paradigmenwechsel in Bezug auf unsere Arbeitswelt von morgen?

Dieser Bereich ist aus meiner Sicht eher der Zukunftsforschung zuzuordnen. Ich traue mich aber zu sagen, dass ein Paradigmenwechsel – meiner Ansicht nach – doch auch schon stattgefunden hat. Was feststeht ist, dass sich klassische Erwerbsverläufe, wie sie vor 30, 40 Jahren ausgesehen haben, klar verändert haben. Das Bild, in dem ich meine Berufsausbildung in einer bestimmten Firma mache und dann dort bis zu meiner Pensionierung verbleibe, hat sich grundlegend geändert und betrifft immer weniger Beschäftigte. Auch der Einsatz von Technologie und veränderte Organisationsformen (von Aufgabenstellungen über Kommunikationsformen und Arbeitszeitmodelle bis hin zur Telearbeit) stellen nicht mehr unbedingt Neues dar, sondern werden schon vielerorts erfolgreich praktiziert.
Was mir gegenwärtig wichtig erscheint, ist der kulturelle Aspekt von Arbeit und die Einstellung vieler gut Ausgebildeten, die sich gegenwärtig eine mit Zufriedenheit und Sinn verbundene, selbstverwirklichende Tätigkeit wünschen. In diesem Kontext hat sich ein hoher Anspruch entwickelt, wie ich auch in meinem persönlichen Umfeld wahrnehmen kann. Die Arbeit sollte im Bestfall an die Prioritäten der Lebensphasen angepasst werden. Damit in Verbindung steht auch eine wachsende Herausforderung für Unternehmen -  wenn gerade bei Jüngeren die Bindung nicht mehr so stark zum Unternehmen ist.
 

Das Zentrum für soziale Innovation ist seit mehr als 20 Jahren ein Pionier im Bereich soziale Innovation und Innovationsforschung. In Anlehnung an den Claim des ZSI gefragt: Alle Innovationen sind sozial relevant?

Soziale Innovation hat es immer schon gegeben. Es ist  vielfach eine Frage der Betrachtung und Definition. Um in meinem Bereich zu bleiben, fallen mir die Sozialpartnerschaften oder Gewerkschaften ein, die eine soziale Innovation bei der Gründung dargestellt haben. Heute werden eklatante Lücken und Brüche in Bezug auf die Zuständigkeiten, zum Beispiel bei der Servicierung von jungen Menschen, die von der Schule in die Berufsbildung wechseln, durch innovative Partnerschaften wie die TEPs  aufgefangen. Über die Pakte wurde auch eine innovative Form der Gründerinnenberatung entwickelt und angeboten, die die Nutzbarmachung von interkulturellen Kompetenzen mitdachte. Ein anderes wesentliches Beispiel für eine soziale Innovation im Bereich Arbeit & Chancengleichheit ist die bedarfsorientierte Mindestsicherung, die 2011 in Österreich Realität wurde. Weitere soziale Innovationen sind in den  dynamischen Feldern der solidarischen und ethnischen Ökonomien zu finden:  Collaborative Consumption wie Carsharing zählen für mich ebenfalls zu wichtigen sozialen Innovationen, auch wenn sie üblicherweise nicht als solche identifiziert werden.

Zur Person

Berenike Ecker studierte Geographie an der Universität Wien. Anschließend absolvierte sie den Masterlehrgang Europastudien an der Universität Wien. Berufliche Erfahrung sammelte sie als Koordinatorin im Regionalmanagement Österreich und als Forschungskoordinatorin an der FH des bfi Wien. Seit 2010 ist sie am Zentrum für Soziale Innovation beschäftigt und unter anderem in der dort angesiedelten Koordinationsstelle der Territorialen Beschäftigungspakte in Österreich  tätig



 



 

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Tags: ageing society, migration, social cohesion, social innovation, social sciences