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Dialog für neue Chancen in Wissenschaft, Forschung und Innovation in der Ukraine

12. Feb. 2015

ZSI_Stimmen: Im Gespräch mit Katharina Büsel und Gorazd Weiss, Forschungspolitik und Entwicklung (F&E)

Die Kooperation mit der Ukraine ist im Rahmen der Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union von außerordentlicher Relevanz. Welche Meilensteine wurden bisher erreicht, was steht bevor?

Gorazd Weiss: Trotz der politischen Lage in der Ukraine funktioniert die wissenschaftliche Kooperation gut. Im vergangenen Frühjahr wurden der politische und der wirtschaftliche Teil des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union unterzeichnet. Damit werden beide Partner in den kommenden Jahren stärker zusammenarbeiten. Die Handelsbestimmungen werden voraussichtlich ab Ende 2015 provisorisch angewendet. Zuvor wird bereits im März 2015, retroaktiv für 2015, die Assoziierung zum EU Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 unterzeichnet. Dies bedeutet einen wesentlichen Schritt zum Gelingen von Kooperationen im Bereich Science Technology and Innovation (STI). Unter diesen Anführungszeichen lud BILAT-UKR*AINA, ein Projekt unter der Projektkoordination des ZSI, Ende Jänner 2015 zum zweiten Stakeholder Forum mit dem Titel „Enhancing Ukraine’s Competitiviness in R&I on the way to the Association to Horizon 2020“ nach Kiew. Damit wurde ein Forum für EntscheidungsträgerInnen aus Forschung, Wirtschaft und Verwaltung und Politik geschaffen, indem sich der Austausch von good practice und Interessen an erster Stelle befand. Alle Fragen standen im Zeichen der bevorstehenden Assoziierung im Rahmen von Horizon 2020 und den damit verbundenen Chancen.

Während die Europäische Union historisch betrachtet verhältnismäßig jung ist, gab es bereits seit dem Mittelalter bilaterale Anknüpfungspunkte zwischen Österreich und jenen Regionen, die heute der Ukraine zugeordnet werden. Worauf können gegenwärtige diplomatische Beziehungen aufbauen?

Gorazd Weiss: Ich möchte dies mit einigen Hinweisen aus einem interessanten Aufsatz von Borys Jaminskyj, Historiker und Mitglied der Österreichisch-Ukrainischen Gesellschaft, beantworten. Er führt an, dass die Geschichte der österreichisch-ukrainischen Beziehungen bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht, was sich anhand alter Chroniken verfolgen lässt. Vor allem die Verbindungen zwischen der Halytscher Dynastie der Rostyslawytschi und den österreichischen Babenbergerherzogen sind hier festgehalten.
Die erste diplomatische Gesandtschaft wurde in Wien auf Betreiben von Bohdan Chmelnyzkyj Mitte des 17. Jahrhunderts errichtet. Zu Zeiten von Kaiserin Maria Theresia und ihres Sohnes Joseph II. kamen drei von Ukrainern besiedelte Gebiete zu Österreich: Galizien, nach der so genannten „polnischen Teilung“ im Jahr 1772, die Bukowina, durch Erwerb vom Osmanischen Reich 1775, und später Transkarpatien, das nach Einführung des dualistischen Staatssystems zur ungarischen Hälfte der österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte die Hauptstadt Wien einige Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Medien und Kunst anziehen. Möglicherweise gehörte Österreich darum zu den ersten Staaten, die nach der Unabhängigkeitserklärung am 24. August 1991 sofort sogenannte „pro forma“-Beziehungen zur Ukraine aufnahmen. Die österreichische Regierung beschloss im Jänner 1992 die offiziellen diplomatischen Beziehungen zur Ukraine wieder aufzunehmen und schuf damit eine wichtige Grundlage für die heutigen diplomatischen Beziehungen. Heute ist Österreich in Kiew unter anderem mit einem Wissenschaftsattaché vertreten.

Was leistet das Projekt BILAT-UKR*AINA - Enhancing the BILATeral S&T Partnership with UKRraine * Advanced INnovative Approach?

Gorazd Weiss: Eine Initiative der Europäischen Union ist es, mit einer Reihe von Partnerländern Abkommen zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit umzusetzen. Zur Konkretisierung dieser Abkommen und zur Stärkung der Kooperationen wurden im 7. Forschungsrahmenprogramm sogenannte BILAT-Projekte gefördert.

Katharina Büsel: Im Prinzip unterstützen wir mit BILAT-UKR*AINA den Politikdialog und tragen so zur Intensivierung der bilateralen STI-Kooperation (Science, Technology, Innovation) zwischen der Ukraine und EU-Mitgliedstaaten bei. Seit dem Jahr 2003 existiert ein STI-Abkommen, das dem gemeinsamen politischen Willen erste Sichtbarkeit gab. Danach folgten weitere Anstrengungen, zum Beispiel mit Hilfe des JSTCC, das „Joint Science and Technology Cooperation Committee“ mit VertreterInnen aus der EU und der Ukraine, das sich mittlerweile zweimal, nämlich in den Jahren 2011 und 2013, getroffen hat, um die Kooperation strategisch auszurichten. BILAT-UKR*AINA stellt diesem JSTCC analytische Hintergrundinformationen und Empfehlungen, u.a. in Form von Policy Briefs zu Themen wie zum Beispiel der Internationalisierung der Ukraine in Forschung, technologischer Entwicklung und Innovation oder zur ukrainischen Teilnahme am 7. Forschungsrahmenprogramm der EU, zur Verfügung. Beim letzten Komitee-Treffen wurden vier thematische Prioritäten festgelegt. Dies sind Biotechnologie, Nanotechnologie, Aeronautics und Transport.
Das zweite Stakeholder Forum in Kiew im Jänner 2015 konkretisierte dann nochmals Kooperationsmöglichkeiten und Innovationsstimuli. Dazu zählen innovationsfördernde Programme und Instrumente, zum Beispiel Technologie-Plattformen. Eine solche wird auch im Rahmen des BILAT-UKR*AINA Projekts unterstützt.

Gorazd Weiss: Der zentrale Begriff lautet „operational tailored made support to policy dialog“. Darunter ist eine Prozessunterstützung des wissenschaftspolitischen Dialogs im Rahmen der EU-ukrainischen Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung zu verstehen. Das BILAT-UKR*AINA Projektkonsortium tut dies u.a. mit Analysen, zum Beispiel zu Trends der ukrainischen Wissenschaftslandschaft. Die Ergebnisse und Empfehlungen, in Form gegossen als Policy Briefs, dienten als Entscheidungsgrundlage für die vier angeführten Prioritäten Biotechnologie, Nanotechnologie, Aeronautics und Transport.

Katharina Büsel: Ein anderes Beispiel ist die Erhebung der gemeinsamen wissenschaftlichen Publikationen der letzten zehn Jahre. Dieser zeitliche Ausschnitt orientiert sich an der zunehmenden Relevanz von STI-Internationalisierungsstrategien in den politischen Diskursen sowie an der Forschungsrealität. Diese schlägt sich auch in der Intensivierung von kollaborativ verfassten Publikationen nieder. Mit heutigem Informationsstand wurden über 20.000 Ko-Publikationen innerhalb des Zeitraums von 2003 bis 2014, an denen zumindest ein/e AutorIn aus der Ukraine sowie ein/e aus einem EU oder FP7 assoziierten Land beteiligt waren, veröffentlicht. Der Großteil dieser Ko-Publikationen wurde vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern sowie angewandten Wissenschaften veröffentlicht. Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern, allen voran die Physik, lässt sich dieser Trend durch die ausgeprägte Kultur der Ko-Autorenschaft erklären. Erste Vergleiche mit anderen Ländern zeigen aber schon, dass medizinische Ko-Publikationen weniger ausgeprägt sind als jene in den angewandten Wissenschaften wie z.B. Werkstofftechnik (‚Materials‘) oder Optoelektronik und Photonik. Finale Aussagen werden erst auf der Basis des Berichts möglich werden, der bis Sommer zur Verfügung stehen wird. Das ZSI und die ukrainische Partnerinstitution STEPS, ein Institut der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, bereiten derzeit diese Analyse vor, die gemeinsame wissenschaftliche Publikationen ukrainischer ForscherInnen mit jenen aus den EU-Mitgliedstaaten und mit anderen FP7 assoziierten Ländern erfassen wird.

Das ZSI hat in den vergangenen Jahren eine starke Expertise in der Region und für Themen aus Ost- & Südosteuropa aufgebaut. Welche innovativen Instrumente kommen zum Einsatz?

Gorazd Weiss: Wir unterstützen mit unseren Aktivitäten aktuell nicht nur die Ukraine bei der Forschungszusammenarbeit mit den EU Mitgliedsstaaten. Erfolgreiche ZSI-Projekte aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm führten zu Nachfolgeprojekten bzw. zu neuen Projekten in benachbarten Regionen. Im Moment zählen dazu die Projekte Danube-INCO.NET, Black SEA HORIZON, und IncoNet EaP. Das Projekt ener2i konzentriert sich auf den Brückenbau zwischen Forschung und Innovation in den Themenbereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien in den Ländern Armenien, Georgien, der Republik Moldawien und Weißrussland.
Auf Methoden- und Kompetenzebene bedienen wir eine große Bandbreite von „maßgeschneiderten“ Instrumenten, die von Inhouse-Trainings in öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen bis zur Entwicklung und Umsetzung von Summer Schools für JungforscherInnen reichen. Vergangenen September fand beispielsweise die BILAT-UKR*AINA Summer School zum Thema „European RTDI policies, instruments and participation possibilities“ statt. Das Ziel war ein umfassendes Training zu Projektentwicklung und Management im Rahmen von Horizon 2020 für ukrainische ForscherInnen zu bieten. Dabei lag das Hauptaugenmerk auf den Feldern ICT (Information & Communication Technology), Nanomaterials, Biotechnologies und Transport. Rund dreißig junge ukrainische FoscherInnen aus unterschiedlichen Regionen nahmen daran teil. Wenig später unterstützten wir den Launch der Ukrainian National Technology Platform on advanced Materials – UNTPAM.
Die Ukraine erlebt derzeit eine der schwierigsten Phasen seit ihrer Unabhängigkeit 1991. Alle Maßnahmen im Rahmen von BILAT-UKR*AINA  dienen dazu, neue innovative Projekte in Wissenschaft und Forschung hervorzubringen. Dabei bleibt es auch in den kommenden Monaten vordringlich, den gegenseitig befruchtenden Austausch zu moderieren und im Fluss zu halten.

Über die ExpertInnen

Katharina Büsel
Die Kulturanthropologin ist seit 2012 als Projektmanagerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin für das ZSI in Wien tätig. Neben bibliometrischen Analysen liegen ihre Arbeitsschwerpunkte auf Impact Assessment und Evaluation, Projektmonitoring und internationaler Forschungskooperation. Ihr geographischer Fokus liegt derzeit auf osteuropäischen Ländern (EaP), insbesondere der Ukraine, Georgien, Armenien, Weißrussland und der Republik Moldawien.

www.bilat-ukraina.eu I www.taipi.eu I www.ener2i.eu

Gorazd Weiss
Der Sozialwissenschaftler und Forschungsmanager ist seit 2004 als Projektleiter für das ZSI in Ljubljana und Wien tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen u.a. internationale Forschungskooperationen, Innovationsunterstützung, Konzepte zu Responsible Research and Innovation (RRI), Foresight und Benchmarking. Gorazd Weiss ist wissenschafltlicher Koordinator von BILAT-UKR*AINA und in zahlreichen Projekten mit EaP- und zentralasiatischen Ländern involviert.

www.bilat-ukraina.eu I www.rri-tools.eu I www.inco-ca.net I www.ener2i.eu

Das Gespräch führte Pamela Bartar, ZSI.

 

 

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