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Im Porträt: ZSI-Forscherinnen Barbara Kieslinger, C. M. Fabian und T. Schäfer

3. Nov 2020

Soziale Innovationen, die sich in konkreten Produkten manifestieren

CAREABLES ist ein unter Horizon 2020 finanziertes Projekt, das von Barbara Kieslinger vom ZSI koordiniert wird. Die Projektpartner stammen aus Italien, Deutschland, UK, Belgien, den Niederlanden und einem globalen Netzwerk, das sich mit der Entwicklung frugaler Innovationen befasst.

Das Projekt hat den Anspruch, offene, inklusive sowie digital-unterstütze Gesundheitsprodukte gemeinsam mit den Betroffenen zu erstellen. Das Projekt bietet dafür eine Reihe an unterschiedlichen Formaten und Veranstaltungen in der On- und Offline-Welt an, in der Menschen mit speziellen Bedürfnissen mit sog. ‚Makern‘ zusammenfinden. Das Projekt entwickelt die Methodik für das Co-Design der Produkte und organisiert und begleitet die transdisziplinäre Zusammenarbeit. Ermöglicht wird die gemeinsame Arbeit durch digitale Fertigungswerkzeuge, wie 3D Drucker oder Lasercutter, die in Werkstätten wie Makerspaces oder Fablabs zur Verfügung stehen.

Auf der Plattform www.careables.org werden gemeinsam erarbeitete Hilfsmittel aus dem Gesundheits- und Pflegebereich dokumentiert. Interessierte können sich über die Plattform detaillierte Dokumentation zu diesen einzelnen „careables“ herunterladen, anpassen und weiterentwickeln.

In unserem Interview erklärt die Projektleiterin Barbara Kieslinger, gemeinsam mit ihren ZSI-Kolleginnen Claudia Magdalena Fabian und Teresa Schäfer, wie sie zu der Idee gekommen sind, und was sie im Projekt konkret machen.

 

  • Worum geht es in Eurem Projekt?

Das erklären wir am besten an einem Beispiel:

Da gibt es Anna, die Rollstuhl-Fahrerin ist und nach einer praktischen Konstruktion sucht, die es ihr ermöglicht Supermarkt-Einkaufkörbe an ihren Rollstuhl zu befestigen. Dann gibt es Swen, der mit spastischen Lähmungen lebt, und seinen großen Traum Fahrrad zu fahren verwirklichen möchte. Ilse wiederum, die sehbehindert ist, sucht nach einer Lösung, um sich im Straßenverkehr sicherer zu fühlen.

Diese Menschen mit ihren ganz speziellen Bedürfnissen treffen sich im Projekt careables mit Kreativ-Denkern und Hobbybastlern. Mit diesen MakerInnen versuchen sie gemeinsam die benötigten Hilfsmittel zu konzipieren und zu erstellen. In einem kreativen Prozess, der sich an den Richtlinien des Design Thinkings orientiert, werden die neuen individualisierten und selbst-gebauten Hilfsmittel, die wir „careables“ nennen, für die bessere Bewältigung des Alltages gemeinsam umgesetzt.

  • Was findet ihr dabei besonders spannend?

Die Bandbreite der kreativen Lösungen ist beeindruckend. Es gibt derzeit einen unglaublichen Bedarf an Hilfsmittel, der weder von der Industrie noch von unserem Gesundheitssystem wahrgenommen und effizient abgedeckt wird. Wir haben bis jetzt bereits 180 Hilfsmittel auf unserer Plattform dokumentiert und das ist nur ein „erster Tropfen auf dem heißen Stein“.

Durch die Kooperation mit Makern und Makerinnen entsteht überdies ein Gefühl der Selbstermächtigung und Wertschätzung, was auch zur verbesserten Lebensgestaltung der betroffenen Personen beiträgt.

  • Wo gibt es einen speziellen Forschungsbedarf und wie wird der angegangen?

Wir beobachten mit großem Interesse, wie schnell die internationale Maker Community auf die aktuellen Ereignisse und Anforderungen der Covid19-Pandemie reagiert hat. Bevor die Industrie entsprechend aktiv wurde, hat die Maker Community bereits zahlreiche Produkte zum Schutz und zur Eindämmung der Corona Pandemie umgesetzt. Eines der bekanntesten Beispiele ist hier sicherlich das Gesichtsschild, welches in verschiedenen Versionen und Ausstattungen gratis innerhalb der Maker Community produziert und verteilt wurde.

Seitens der Forschung stellt sich die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen soziale Innovation entsteht und sich weiterentwickeln kann, wenn selbstgefertigte Produkte aus dem Gesundheits- und Pflegebereich in der Öffentlichkeit verteilt und angenommen werden. Wir versuchen im Projekt neue Geschäftsmodelle für Open Source Hardware Projekte - ähnlich wie für Open Source Software – zu entwickeln. Dabei müssen nationale sowie internationale Regelungen berücksichtigt werden. Der Forschungsbedarf ist in diesem Bereich enorm.

  • Worin zeigt sich der europäische Mehrwert?

Der Mehrwert zeigt sich manchmal ad hoc. Wir haben zum Beispiel erlebt, dass ein individuell-konzipiertes Fahrrad für einen italienischen Nutzer von einer weiteren Person aus den Niederlanden weiterentwickelt und adaptiert wurde. Systematisch teilen wir die entwickelten Lösungen und Produkte weltweit mit Unterstützung des Global Innovation Gathering Netzwerks. Über die Zugriffsstatistik unsere Plattform sehen wir, dass Produktanleitungen auch außerhalb der europäischen Grenzen positiv wahrgenommen werden.

  • Wie steht Österreich in diesem Themenbereich?

In Österreich nehmen wir derzeit eher eine schwache Verbindung zwischen den MakerInnen und den AkteurInnen aus dem Gesundheitsbereich wahr. Andere europäische Länder sind in diesem Bereich fortschrittlicher und haben zum Beispiel in ihren Krankenhäusern bereits eigene Räumlichkeiten für die Umsetzung der individuellen Lösungen - sprich „maker spaces“ - integriert. Aber vielleicht müssen auch wir uns noch mehr mit dieser Thematik befassen und sehen, wo in Österreich erste solcher Verbindungen ins Leben gerufen werden. Auf jeden Fall gibt es für unsere Veranstaltungen auch Interesse aus Österreich.

  • Wie bist Du zu dem Thema überhaupt gekommen? Gibt es dazu einen biographischen Anhaltspunkt?

Als langjährige Mitarbeiterin des Zentrums für Soziale Innovation werde ich oft mit der Koordination und Evaluation verschiedener europäischer Projekte beauftragt. Mein Team und ich weisen bereits viel Erfahrung im Bereich der Koordination von EU-finanzierten Forschungs- und Innovationsprojekten auf und sind inzwischen Teil eines großen europäischen Netzwerkes geworden. Als ich die Anfrage bekam, so ein Projekt zu koordinieren und sozialwissenschaftlich zu begleiten, konnte ich natürlich nicht „nein“ sagen. Ich habe mich über die Genehmigung des Projektantrages sehr gefreut und bin sehr stolz, was dieses Projekt bereits durch das außerordentliche Engagement aller involvierten Projektpartner erreicht hat.

Auf Kickstarter kann man derzeit das careable „Glifo“, eine Schreibhilfe für Kinder, unterstützen:
https://www.kickstarter.com/projects/opendotlab/glifo-the-custom-made-writing-aid

Mehr Information zu dem Projekt finden Sie unter www.careables.org

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Tags: Portrait